Weiblich, Single, glücklich


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Ich bin in einer sechsköpfigen Familie aufgewachsen und mich von Klein auf gewohnt, um Menschen herum zu sein und in einer Gemeinschaft zu agieren. Doch mittlerweile habe ich eine grosse Portion Lebenserfahrung hinter mir, und ziehe es vor, alleine zu leben. Mit mir an meiner Seite fühlte ich mich unbesiegbar. Single-Phasen habe ich noch nie als Bedrohung oder Mangel empfunden – im Gegenteil. In den Jahren ohne Beziehung bin ich immer am Glücklichsten. Nach wie vor bin ich überzeugt, dass ich niemanden brauche, dass ich eine unabhängige Frau bin, die machen kann, was, mit wem und wann sie will. Die ihre Wasserkisten selbst schleppt (oder jemanden dafür bezahlt), die niemanden braucht, der von seiner «besseren Hälfte» spricht, der schnarcht, fragt, was man mal kochen oder wohin man verreisen könne. Und um Himmels willen niemanden, der mit seiner Vinylsammlung mein Wohnzimmer besetzt. Kürzlich las ich in einer Zeitschrift, dass in Krisenzeiten die Sehnsucht nach einer festen Partnerschaft steige. «Deshalb suchen momentan 30 Prozent mehr Singles als noch vor einem Jahr eine Liebesbeziehung.» Auch Partnerschaftsportale berichten, dass der Markt boomt und die Nutzer aktiver suchen.

    Es war in der Geschichte schon immer so: Wenn eine Krise vorbei ist, wird gefeiert. Nach der Spanischen Grippe folgten die goldenen Zwanziger Jahre, rauschende Feste und Orgien. Die Lebenslust nachholen. «Aber heute haben wir eine ganz andere Situation: Die letzten 50 Jahre verliefen zumindest in der Schweiz vergleichsweise ruhig, und wir erleben jetzt mit fünf Krisenmustern (Corona, Ukraine, Inflation, Rückgang der Wirtschaft durch Beschädigung der Weltwirtschaft, Klima) fünf Bedrohungsszenarien. «Dadurch entsteht eher der Wunsch nach Beständigkeit», wird da geschrieben. Trennungen gingen zurück, die Partnerschaftsdauer steige. «In Zeiten von Sicherheit neigen wir zu emotionalen Experimenten, während wir jetzt Sicherheit suchen.» Ich überlegte daher, ob es vielleicht Zeit wäre, doch mal einen Versuch zu starten, jemanden kennenzulernen. Eine Dating Plattform kommt für mich nicht in Frage – das ist nichts für mich.

    Also meldete ich mich für ein Speed-Dating in gediegenem Ambiente an. «Wieso nicht, mal schauen!», denke ich. Kurz vor dem Termin jedoch begann es in mir zu arbeiten und der Gedanke an dieses Speed-Dating beschäftigte mich zusehends. Die anfängliche Neugierde verwandelte sich in Misstrauen. Ich sah meine Freiheit in Gefahr. Ich ging in mich und hörte auf meine innere Stimme. Diese sagte mir klar und deutlich: «Mag sein, dass in Krisenzeiten die Sehnsucht nach einer festen Partnerschaft steigt. Aber du bist anders. Du bist immer gegen den Strom geschwommen. Du hast eine topverlässliche wunderbare Familie. Du musst frei sein.» Ich habe mich abgemeldet und fühle mich wieder wohl. Ich bin ein Vollprofi-Single und lebe exakt das Leben, das ich mir ausgemalt habe: selbstbestimmt, geliebt, erfolgreich, finanziell unabhängig – Krise hin oder her. Ein Partner an meiner Seite würde mein Leben irgendwie (emotional) kompliziert machen und meine überaus geliebte Flexibilität einschränken. Dazu bin ich (momentan) nicht bereit.

    Ich sehe das «Alleine-Leben» als Privileg an, obwohl der Topos der unglücklichen Singlefrau sich tapfer hält – zum Teil bis in die heutige Zeit. Ist er doch so alt wie die Bibel: Das Single-Schicksal ist ein weibliches, die Suche nach Mr. Right der Plot von Geschichten, in welchen die Frauen die Hauptrolle spielen. Historisch gesehen wurde die weibliche Biographie bis weit ins 20. Jahrhundert hinein stets von einem Mann bestimmt: Es war der Vater, ihr Vormund, dann der Ehemann. Heiratet die Frau nicht, galt sie als Bürde für die Familie. Tja, das war ein anderes (hartes) Frauenleben – um nicht zu sagen eine Zumutung. Ich bin mir dessen jeden einzelnen Tag bewusst und deshalb unendlich dankbar, dass ich jetzt als Frau im Jahrhundert der Gleichberechtigung und Gleichstellung leben darf – obwohl Letzteres noch Potenzial nach oben hat!

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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